46. Jahrestagung der Hugo Obermaier-Gesellschaft für Erforschung des Eiszeitalters und der Steinzeit e.V. vom 13.-17. April 2004 in der Hansestadt Greifswald

 

Leif Steguweit, Erlangen

 

Nachdem die Gesellschaft im Jahre 2003 – an alte Traditionen anknüpfend – eine sehr gelungene Tagung in Santander (Spanien) abgehalten hatte, folgten die Mitglieder vom 13. bis zum 17. April 2004 einer Einladung des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte der Universität Greifswald und des Landesamtes für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern nach Greifswald an der Ostseeküste. Anlaß für die Einladung war vor allem das SINCOS-Forschungsprojekt („Sinking Coasts“; vgl. www.sincos.org), das sich dem Problem der Veränderungen der südlichen Ostseeküste im Holozän und ihren Auswirkungen auf den steinzeitlichen Menschen in einem interdisziplinären Verbund nähert. Dieser Schwerpunkt wurde mit einer Reihe von eindrucksvollen Vorträgen und hochkarätigen Exkursionen vorgestellt. Die Möglichkeit, diese Forschungen im Rahmen des wichtigsten Forums der Quartärarchäologie Mitteleuropas kennen zu lernen, nutzten ca. 140 Teilnehmer aus Dänemark, Deutschland, Österreich, Polen, der Schweiz, Tschechien, und Ungarn. Die hohe Teilnehmerzahl verdankte die Tagung sicher auch den touristisch reizvollen Hansestädten und Exkursionspunkten wie den Rügener Kreidefelsen. Erfreulich war die rege Teilnahme von Nachwuchswissenschaftlern, die über Ergebnisse ihrer Magisterarbeiten und Dissertationen berichteten.

 

Die Jahrestagung fand im Alfried Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald statt, das der Veranstaltung einen bestens geeigneten Rahmen in der Greifswalder Altstadt bot. Für die reibungslose Organisation sowie die gelungenen Exkursionen zeichneten T. Terberger (Greifswald) sowie F. Lüth (Landeskonservator, Schwerin) und H. Lübke (Schwerin) verantwortlich. Den Organisatoren, die von Studierenden des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte unterstützt wurden, sei an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich für ihr Engagement gedankt. Ein bleibendes Ergebnis der Tagung erhielten die Tagungsteilnehmer mit der von H. Lübke, F. Lüth und T. Terberger zusammengestellten und vom Landesamt für Bodendenkmalpflege realisierten Publikation „Neue Forschungen zur Steinzeit im südlichen Ostseegebiet“ (250 Seiten; Vorabdruck des Jahrbuchs für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern 2005) schon bei der Anmeldung.

 

Nach Grußworten des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Greifswald, Prof. Dr. Manfred Bornewasser, des Landesarchäologen Dr. F. Lüth und Dr. T. Terberger als Vertreter des Lehrstuhls für Ur- und Frühgeschichte wurde die Tagung durch den Präsidenten Prof. Dr. L. Reisch (Erlangen) feierlich eröffnet. Die erste Sitzung am Nachmittag des 13. Aprils stand im Zeichen der Forschungen zum Alt- und Mittelpaläolithikum, wobei eine Arbeitsgruppe der Humboldt Universität Berlin (J. Schäfer / U. Bauer/ R. Schulz/ K. Haswell) mit einer kritischen Bestandsaufnahme genetischer Forschungen zur Abstammung des Menschen die Vortragsfolge eröffnete. Berichte zur Archäologie des Neandertalers aus Neumark-Nord (E. Brühl), zum eponymen Fundplatz Neandertal (S. Feine/ F. Hillgruber/ R. Schmitz) und der nach neuen Ergebnissen von W. Rosendahl und B. Wiegand in die letzte Kaltzeit datierenden Höhlenruine Hunas spiegelten das breite moderne Methodenspektrum zu Erforschung des Mittelpaläolithikums wider. Anschließend diskutierte M. Haidle die Rezeption des Übergangs vom Neandertaler zum Anatomisch Modernen Menschen in der populärwissenschaftlichen Literatur.

 

Die enge Vernetzung der Quartärarchäologie mit den Bio- und Geowissenschaften markierten die folgenden Referate. Der Greifswalder Zoologe T. Kaiser stellte zunächst seinen Ansatz vor,  Kaumuster von Equidenzähnen zur Rekonstruktion der Vegetation zu nutzen. Die Budapester Archäologin V. Dobosi gab dann einen Überblick der Nutzung geowissenschaftlicher Ressourcen in der ungarischen Steinzeitforschung.

 

Eine festliche Begrüßung durch den Greifswalder Oberbürgermeister A. König eröffnete das kleine Abendprogramm. Im anschließenden öffentlichen Abendvortrag stellte Landesarchäologe F. Lüth im bis zum letzten Platz gefüllten Rathaussaal „Neue Ergebnisse der Landesarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern“ vor.

 

Am Mittwoch rückte das Vortragsprogramm den von L. Zöller (Bayreuth) initiierten Themenschwerpunkt Geoarchäologie in den Mittelpunkt. Die von M. Fuchs (Bayreuth) organisierte Sitzung verdeutlichte den Bedarf an enger Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen Geographie, Bodenkunde, Mineralogie, Geologie und prähistorischer Archäologie. Als Gast referierte P. Goldberg (Boston, USA) über die Ergebnisse seiner mikromorphologischen Untersuchungen an Höhlensedimenten. Desweiteren diskutierten führende Vertreter der geoarchäologischen Arbeitsrichtung aus Deutschland, wie K.-D. Jäger (Halle), G.A. Wagner (Heidelberg) und B. Frenzel (Stuttgart) Möglichkeiten und Grenzen der Geowissenschaften in der archäologischen Forschung. Die zentrale Bedeutung von geo- bzw. naturwissenschaftlichen Datierungsverfahren für die Interpretation alt- und mittelsteinzeitlicher Fundstellen wurde auch an einem Beispiel aus dem westmediterranen Raum verdeutlicht (C. Zielhofer/ J. Linstädter). Einen interessanten Anstoß bot auch das Referat von M. Langanke (Erlangen), der die Notwendigkeit einer kritischen Evaluierung von Daten aus wissenschaftstheoretischer Perspektive thematisierte. Vor der Mittagspause wurden dann im Foyer des Krupp-Kollegs die ausgestellten Poster jeweils mit Kurzreferaten vorgestellt.

 

Am Nachmittag führte eine Busexkursion in das Endinger Bruch, Kr. Nordvorpommern. Die Fundstellen bei Endingen verdanken ihre Bedeutung der Entdeckung eines Riesenhirschgeweihfragmentes vor über 100 Jahren, das von dem bekannten Geologen W. Deecke 1899 veröffentlicht wurde. Vor Ort wurden bei bestem Wetter von T. Terberger und P. de Klerk die geowissenschaftlichen und archäologischen Arbeiten der Greifswalder Universität an diesem spätpaläolithischen Fundplatz vorgestellt. Schwerpunkte bildeten die Erläuterungen zur spätglazialen-frühholozänen Entwicklung der Beckenlandschaft und zu den neuen pollenanalytischen Arbeiten (P. de Klerk). An Bohrkernen wurde auch die spätglaziale und frühholozäne Chronostratigraphie und Umweltentwicklung in Nordostdeutschland diskutiert.

 

Die Referate am dritten Vortragstag widmeten sich neuen Forschungen zum Jung-, Spätpaläolithikum und Mesolithikum. Sie reichten vom Gravettien in Niederösterreich (P. Nigst) und Süddeutschland (P. Kieselbach) über das Magdalénien und Spätpaläolithikum im Rheinland (M. Sensburg, S. Wenzel, F. Gelhausen, J. Kegler, S. Loew) bis zum bedeutenden Fundplatz Ahrenshöft in Schleswig-Holstein (I. Clausen). L. Sörensen gab schließlich einen lebendigen Überblick zu neuen Forschungen zur Maglemose-Kultur am Fundplatz Alyst auf Bornholm.

 

Der letzte Themenblock, der zugleich der Exkursionsvorbereitung diente, stellte die Ergebnisse der interdisziplinären DFG-Forschergruppe „SINCOS – Neue Forschungen zu Mensch und Umwelt im westlichen Ostseegebiet“ vor. Nach einer Einführung in das Projekt durch die Sprecher der Forschergruppe J. Harff (Institut für Ostseeforrschung Warnemünde) und F. Lüth (Landesamt für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern) wurden zunächst Grundlagen der spätglazialen und frühholozänen Entwicklung der Ostsee erläutert (W. Lampe/ R. Lampe). Neue Ergebnisse zur endmesolithischen Ertebøllekultur in Schleswig-Holstein erläuterte S. Hartz und zu neuen Ergebnissen von den steinzeitlichen Fundplätzen an der Küste Mecklenburg-Vorpommerns referierten H. Lübke, S. Labes, U. Schmölcke, M. Seiler und T. Terberger. Ein letzter Beitrag von J. Kabacinski, J. Ilkiewicz und T. Terberger erläuterte neue Forschungsperspektiven an der polnischen Ostseeküste. Auf das Vortragsprogramm folgte die Mitgliederversammlung der Gesellschaft, auf der u.a. die Zukunft des Publikationsorgans Quartär diskutiert wurde. Für ihre Jahrestagung 2005 nahm die Gesellschaft eine Einladung in die Schweiz nach Neuchâtel an. Nach stimmungsvoller Dampferfahrt vom Greifswalder Hafen nach Wiek gab das gemütliche Beisammensein am Abend im „Gasthof zur Fähre“ Gelegenheit, die neuen Ergebnisse bei maritimer Atmosphäre weiter zu besprechen und den Blick nicht nur in die Zukunft, sondern auch auf Teller und Bierglas zu richten.

 

Nach drei vielseitigen Vortragstagen nahmen viele Teilnehmer die Gelegenheit wahr, auf zwei Exkursionen die Natur- und Kulturgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns kennenzulernen. Der erste Tag führte unter der Leitung von H. Lübke, R. Lampe und T. Terberger zunächst nach Stralsund, wo die Altstadt und die reiche archäologische Ausstellung des Kulturhistorischen Museums die ersten Ziele bildeten. Die Fundstelle am Mischwasserspeicher, wo im Frühjahr 2002 die ersten weitgehend erhaltenen steinzeitlichen Einbäume der südlichen Ostseeküste geborgen wurden, bot dann Gelegenheit, die Entwicklung des Strelasundes zu thematisieren. Anschließend führte die Route nach Rügen, wo sich die Teilnehmer in Lietzow-Buddelin über die neuen Forschungen am endmesolithischen Fundplatz informieren konnten. Der Weg führte weiter über den Aussichtspunkt bei Bobbin zur slawischen Tempelburg auf Kap Arkona (Abb. 1). Nach einem Picknick standen die romantischen Kreidefelsen am Königsstuhl (Abb. 2), das Herthamoor (Pollenprofil B. Endtmann) und die Herthaburg auf der Halbinsel Jasmund auf dem Programm. Der Rückweg führte die Teilnehmer über Sassnitz und die Großsteingräber bei Lancken-Granitz (Abb. 3) wieder nach Greifswald.

 

Abb.1 Abb.2 Abb.3

 

Am zweiten Exkursionstag standen neue Forschungen im Westteil des Landes auf dem Programm. In Groß Strömkendorf wurde die Gruppe von H. Jöns, dem Abteilungsleiter für Bodendenkmalpflege im Landesamt, empfangen. Er stellte die Ergebnisse eines DFG-Forschungsprojektes zum slawisch-wikingischen Seehandelsplatz Groß Strömkendorf vor. Den zweiten Schwerpunkt bildeten die unterwasserarchäologischen Arbeiten in der Wismarbucht vor der Insel Poel im Rahmen des SINCOS-Projektes dar. H. Lübke vermittelte einen spannenden Einblick in die moderne Unterwasserarchäologie. Nach einem Besuch der beeindruckenden Megalithgräber im Everstorfer Forst fand das Tagungsprogramm am bekannten mesolithischen Fundplatz Hohen-Viecheln am Schweriner See seinen Abschluß.

 

Ohne Zweifel war die rundum gelungene Tagung eine Werbung für die Hugo Obermaier-Gesellschaft und ihr Ziel, die Forschungen zur Alt- und Mittelsteinzeit zu befördern!

 


Dr. Leif Steguweit, Hugo Obermaier-Gesellschaft c/o Institut für Ur- und Frühgeschichte, Universität Erlangen, Kochstr. 4/ 18, 91054 Erlangen.


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